Abschrift aus der Zeitung ‹Die Horen, Monatshefte für Kunst und Dichtung.› Herausgeber: Hanns Martin Elster und Wilhelm von Scholz. 6. Jahrgang April 1930; betitelt: «Mißliebiges Erbe, Deutscher Idealismus»
Der Generalangriff auf den deutschen Idealismus ist im vollen Gange. Zu einer Entscheidung wird es indessen nicht so bald kommen; denn es fehlt den Verderbern eines großen Erbes gegenüber zunächst die Gegenpartei, die für die Sache Hegels, Fichtes, Schellings, Schillers, Goethes zu streiten vermöchte. Der versenkte Same lebt im Keimgrund des Schicksals, doch die Inkubationszeit des philosophischen Geistes des vergangenen Jahrhunderts ist noch nicht beendet; die Bekämpfer des deutschen Idealismus stellen sich einem unwirklichen Gegner: sie kämpfen gegen die Ausgeburt ihrer eigenen Mißverständnisse. Der deutsche Geist wird auferstehen. Die Verwandlung, die er inzwischen absolviert, wird seine Verwechslung mit bloßem Epigonentum unmöglich machen. Man wird Hegel-Forschung, Goethe-Forschung in einem mehr als philologischen Sinne betreiben, man wird nicht so sehr fragen, ob wahr oder unwahr ist, was Hegel, was Goethe gelernt haben -, man wird die Kühnheit haben zu fragen: was Hegel, was Goethe inzwischen geworden sind. Wir sehen eine Jugend heraufkommen, die mit dem vollen Ernste der Verantwortung den Gedanken zu denken wagt, daß der deutsche Geist, daß der Menschheitsgeist eine Einheit ist; daß das Ichhafte der universellen Geistigkeit Vergangener durch die Ichhaftigkeit Gegenwärtiger Auferstehung feiert. Das ist doch das Tiefste des deutschen Weltanschauungsimpulses: dieses Vertrauen in die Ichheit des Geistes. Das kritizistische Dogma von der Ausgeschlossenheit der ohnmächtigen «Subjektivität» vom Geiste konnte dieses Vertrauen zeitweise lähmen, aber nicht ertöten; Kant mußte wider Willen der Wegbereiter der Ichphilosophie sein, die deswegen nicht der heutigen Verurteilung zu verfallen brauchte, weil sie auf halbem Wege stehengeblieben ist. Daß die zweite Weghälfte beschritten werde, darauf kommt es heute an. Man wird bei dieser fortschreitenden Arbeit aus vielen Richtungen her die Problemlinien konvergieren sehen auf die eine zentrale Frage: Was ist der Mensch? Man wird die Problematik dieser Frage selbst sehen. Denn man wird übereinkommen, daß der Mensch nicht «Gegenstand der Wissenschaft» sein kann, nicht der Wissenschaft, die feststellt «was ist». Man wird aus dem letzten Hinterhalte, der nicht die Sackgasse des Theismus, sondern ein unbefangenes platonisches «Staunen» ist, fragen, ob Gegenstände, Dinge durch den Menschen sind, ob das immerhin menschlich-sprachliche «ist» und «Sein» durch den Menschen ist, ob der Mensch weniger als der letzte Grund alles Gründens ist. Die Christenheit sollte nicht geringschätzen, daß ihr Gott, durch den sie die Welt bestehen läßt, auch ein wirklicher Mensch ist. Vielleicht ist es an der Zeit, dem Menschen Verantwortungen zuzumuten, die bisher Gott - durch den Menschen - beansprucht hat. Noch auch wird man nach dem «Wesen» des Menschen fragen; denn die Was- und Wesensfrage zielt doch auf die «Allgemeinheit» der Antwort. Es kann aber mich, dieses unaussprechbare, von mir erlebte «Ich» eine Antwort nicht befriedigen, die gerade durch ihre Allgemeinheit mich nicht enthält. Vielleicht ist Menschenwissenschaft als Wissenschaft des Unaussprechbaren zutiefst - trotz Mauthner - ein Sprachproblem: wie der Mensch als «Gegenstand», so ist die Sprache zunächst ein Produkt der Natur; wie die Natur ihren Ursprung aus dem Menschen sucht, so möchte vielleicht die Sprache von bloßer Natur zu bewußter Schöpfung werden? Die fortschreitende Ich-Geistigkeit wird mit Nachdruck die Fruchtbarkeit der These anzweifeln, die Max Scheler so formuliert hat: «Wenn es eine philosophische Aufgabe gibt, deren Lösung unser Zeitalter mit einzigartiger Dringlichkeit fordert, so ist es die einer philosophischen Anthropologie. Ich meine eine Grundwissenschaft vom Wesen und Wesensaufbau des Menschen…Ein solche Anthropologie allein vermöchte allen Wissenschaften, die mit dem Gegenstand 'Mensch› zu tun haben, den naturwissenschaftlichen und medizinischen, den prähistorischen, ethnologischen, geschichtlichen und Sozialwissenschaften, der Normal- und Entwicklungspsychologie wie der Charakterologie ein letztes Fundament philosophischer Natur und zugleich auch bestimmte sichere Ziele ihrer Forschung zu geben.» - Welche Überschätzung philosophischer Aufgaben und der «Wissenschaft»! Das letzte Fundament des wissenschaftlichen Gegenstandes «Mensch» mag philosophischer Natur sein; doch ist es dieser Mensch nicht, nach dem wir fragen. Und eher denken wir uns den Menschen als den Grenzort, auf dem das Eingeständnis der Beschränktheit des Begriffs der Philosophie, des Begriffs der Wissenschaft, geschieht. Ist ein Umsturz, eine Evolution des geltenden Wissenschaftsbegriffs denkbar? Ist eine Wissenschaft denkbar, die in der Individualität das Kriterium der Wahrheit sucht, wie es die abendländische Wissenschaft in der Wesensallgemeinheit sucht? Die deutsche Philosophie des objektiven Idealismus ist längst auf dieses Problem gestoßen: «Eine Philosophie kann niemals allgemeingültige Wahrheiten überliefern, sondern sie schildert die inneren Erlebnisse des Philosophen, durch die er die äußeren Erscheinungen deutet.» (Rudolf Steiner, in der Einleitung zu Goethes «Sprüchen in Prosa», Kürschner) Ein höchstes wissenschaftliches Wahrheitskriterium erfüllt seinen Zweck, wenn es von umfassendster inhaltlicher Fülle und mit nichts vergleichbar ist. Das «Sein» der griechisch-abendländischen Metaphysik genügt diesem Zweck recht, aber schlecht. Man hat bemerkt, daß dieses Seins-Kriterium auf das Sprechen des Menschen zurückweist. Wie steht es um das Bemühen - seit Descartes - das Sein im Denken zu verankern? Mauthner schneidet die Frage kurz ab: Denken sei Sprechen. Vielleicht aber will man den unwillkürlichen, aber höchst fruchtbaren Anthropozentrismus des Altertums bemerken, der aus der Sprechtätigkeit des Menschen die stolzen Gesetze der unmenschlichen abendländischen Wissenschaft und Logik schuf; vielleicht wird man zu der Unbefangenheit durchdringen, das Denken fortan ebenso auf den Menschen zu orientieren, wie es die bisherige philosophische Spekulation, in den Geleisen des Theismus, auf Gott hin orientiert hat. Ist nicht Hegels Gottes- und Weltgeist gleich «Ich»? - zwar individualitäts- und existenzloses «Ich». Die christliche Weisheit war tiefsinniger als alle über dem Menschen schwebende moderne «Logik» der «Wissenschaft», wenn sie vom sprechenden Menschen aus die Welt durchdrang, wenn sie das Logos-Mysterium, als Sprach- und Menschenmysterium zum Zentralmysterium machte. Das wissenschaftliche Wahrheitskriterium als Individualität ist denkbar, wenn die Welt durch den Menschen ist, wenn der Sinn aller Dinge dieser Welt sich dort enthüllt, wo nicht ein Menschen-Was, sondern ein Menschen-Wer diesen Sinn offenbart. Eine solche Wissenschaft wäre eines nicht: nicht aristotelische «Theorie», nicht Lehre von…; sie wäre Ursprung, schaffende Verantwortung des einen - und Schicksal des andern. Das brauchen wir uns nicht weiter zu beweisen, daß «allgemeingültige Wahrheiten» uns dadurch angehen, je nachdem wessen Wahrheiten sie sind. Das Ideal der geltenden Wissenschaft ist, voraussetzungslos zu fragen. Doch wann hätten wir nach dem Menschen nicht ganz anders, nämlich inhaltvoll gefragt! Die wissenschafliche Frage, was der Mensch sei, ist eine sinnlose Frage. Sinnvoll ist die inhaltvolle Frage: ob Goethe so Mensch sei, daß er dir oder mir zum Schicksal wird. So fragt der Christ nach dem Menschen (Gott), der des Christen Schicksal ist; deswegen ist die Antwort des Christentums auf den Anspruch der «Wissenschaft»: Ironie. - Zu kühnen Gedanken wird der Endweg des Ich-Impulses deutscher Philosophie beflügeln. Die verantwortlichen Fortwirker des deutschen Idealismus erst werden dessen berufene Überwinder sein.
Wir blicken auf den Angriff der Unberufenen. Die Initiative und Führung des Sturmes liegt bei der erstarkten jüngsten Theologie, die es verstanden hat, noch einmal die Jugend zu engagieren. Einig mit dieser Theologie im Ziel der Vernichtung streitet jene Mißgeburt des Hegelianismus, die von der Welt, welche Hegel auf den «Kopf» gestellt hatte, behauptet, sie müsse wieder auf die Füße gebracht werden: der Marxismus und Leninismus. Aus dieser Situation erhoffen Dritte einträglichen Gewinn: Als Helmut Groos in einer breit fundierten Untersuchung vom Standpunkte jüngster Theologie das Verhältnis von deutschem Idealismus und Christentum untersuchte und sein Resultat in die knappe Formel faßte: «entweder Idealismus oder Christentum», da berichtete Friedrich Muckermann S.J. in den «Stimmen der Zeit» von diesem aufschreckenden Buche, indem er resümierte: «Es kann kein Paktieren zwischen beiden geben, es kann keine Auswechslung einzelner Elemente stattfinden, es kann nicht einmal Friede zwischen beiden sein; es folgt vielmehr die unerbittliche Notwendigkeit eines gegenseitigen Kampfes bis zur Vernichtung.» Und - auch dieses sagte Muckermann in dem gleichen Aufsatze: «Und so kommt heute der Katholizismus dazu, unsere deutschen Klassiker zu retten vor dem Scheiterhaufen, den gegen seine Absicht ein Protestant, der sie bewundert, für sie und den ganzen deutschen Idealismus aufschichtet. - Mögen Kant, Goethe, Herder, Schiller, Fichte, Schelling, Schleiermacher und Hegel sich auch noch so bewußt ihr eigenes Reich jenseits der christlichen Gemeinschaft bauen, sie können es, so sagt sich der Christ, gar nicht so einrichten, daß es im Wahrheits- und Wertsinne nicht doch wieder zu jenem Reich gehören muß, das eben das Reich aller Wahrheit und Werte ist. - Wir können uns in der Überzeugung, daß wir die Wahrheit haben, und zwar die absolute Wahrheit, nicht darein finden, daß es vollkommen außerhalb unseres Weltbildes noch ein anderes gebe mit eigener Wahrheit und eigenem Wert.» - -
Friedrich Gogarten, dieser Theologe von Format und der menschlich tiefste Repräsentant der neuen Theologie, glaubt nicht an die Zeugungskraft des Geistimpulses deutscher Klassik. Wenn es die Grundabsicht des deutschen Idealimus ist, die Wirklichkeit dieser Welt vom Geiste her zu gründen, so bestreitet Gogarten die Möglichkeit menschlich-schöpferischer Kulturbegründung. Kultur kann je und je nur die Gelegenheit sein, die den existenten Menschen, dessen Substanz seine Sündigkeit und Nichtigkeit vor Gott ist, in die Krisis führt. Er brandmarkt die Anmaßungen der Wissenschaft gegenüber den Inhalten des Glaubens. Er stellt die Religion - als menschliche Aspiration - selbst in Frage und postuliert die Religion «von Gott her». Die bedeutsamsten Beiträge dieser Zeit zu einer Geschichtsphilosophie stammen von Gogarten. Die Rettung der Theologie gelingt ihm indessen nur auf Grund einer höchst beachtenswerten Kritik des geltenden Wissenschaftsbegriffes. Soll es bei dieser Kritik bleiben? Kann überhaupt Theologie eine Aufgabe unserer Zeit sein? Wenn wir die Kritik Gogartens bejahen, besonders seine Kritik der idealistischen Geschichtsphilosophie, so tun wir es im Hinblicken nicht auf die Theologie, sondern auf eine Anthroposophie. Nicht minder beachtenswert als die theologische ist die Kritik des Materialisten. Ich zähle Lenins Schrift «Materialismus und Empiriokritizismus» zu den lehrreichsten Büchern, die sich mit dem deutschen Idealismus befassen. Er spitzt seine Frontstellung zu einer entscheidenden Frage zu: hat die Natur vor den Menschen existiert oder existiert sie abhängig vom Bewußtsein des Menschen. Er beruft sich auf den «instinktiven Materialismus» der Naturwissenschaft, welche die Priorität der Natur nicht bezweifelt. Die vom Idealismus behauptete unlösliche Korrelation von Subjekt und Objekt werde durch die Praxis der Naturwissenschaft einfach widerlegt. Welche gegenwärtige Wissenschaft des Idealismus käme gegenüber solchen Fragen nicht in Verlegenheit? Weshalb sind die Chancen dieses Materialismus marxistischer Prägung große? Weil seine Lehre von der Priorität des Objektes solchen schmeichelt, in denen durch die Erziehung des Theismus dessen Denkgewohnheiten Instinkte geworden sind. Der Gott des Materialismus und der Gott der Theologie sind beide weniger als - Mensch. Die Frage aber, ob die Natur vor dem Menschen sei oder abhängig vom «Bewußtsein» des Menschen, fordert nicht eine wissenschaftliche Antwort, sondern einen neuen Willen zur Weltanschauung. Die bisherige Weltanschauung des Abendlandes - bis zu ihrer Verkümmerung im System des dogmatischen Materialismus - ist theozentrisch. Man wird aber bei einer bewußt anthropozentrischen Welterklärung und Weltverantwortung anfragen müssen, was sie möglicherweise zu einer solchen Frage vorzubringen hat. Auch hier also können wir auf das Problem einer Anthroposophie stoßen.
Die Anthroposophie Rudolf Steiners kann beanspruchen, daß sie aus Gesichtspunkten heraus gewertet werde, die sich aus dem Geistesleben der aktuellsten Gegenwart ergeben. Die Beschäftigung mit diesem Manne ist ernstlich an der Zeit. Das Entscheidende seiner Leistung ist die Geburt einer neuen Idee des Schicksals. Er tut erstmals den Schritt über Hegel hinaus, die Ansprüche Spenglers mildernd, den eine nicht ferne Zukunft unschwer unter die Verfallserscheinungen des Hegelianismus einreihen wird. Hegel übertrug die Idee der griechischen Tragödie auf Völkerindividuen. Die «Völkergeister» sind die tragischen Helden seiner «Weltgeschichte». Er ersetzt die griechischen Göttergeister, die als Individuen - selbst schicksalverhaftet - die absolute Entscheidung noch nicht aus sich selbst nehmen, durch eine universelle Gottesidee, die ihren Ursprung aus dem christlichen Theismus nicht verleugnet. Aber Hegels Gott ist nicht der unbegreifliche Widerspruch zwischen dem allweisen statischen Gott der christlichen Metaphysik und dem allmächtigen Gott der christlichen Vorsehung: er ist als der vernünftige Walter dieses Widerspruchs der Gott der Geschichte. Wer ist nun der Akteur dieser Hegelschen Weltgeschichte: Gott oder die Volksindividuen als Staaten? Jedenfalls nicht die Menschen. In dem Geschichtsweben des Gottesgeistes ist die «Idee» der Zettel, die menschlichen Leidenschaften sind der Einschlag. Die konkrete Mitte beider Momente ist die sittliche Freiheit im Staate. Das Bewußtsein dieser Freiheit ist der Endzweck der Welt. Dieser Zweck rechtfertigt die Geschichte als die «Schlachtbank, auf welcher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht werden». Dieses Geschichtsdenken enthält nichts, was die griechische Schicksalsidee vertiefen würde, sie enthält nicht einmal das Essentielle der christlichen Weltanschauung; den unmittelbaren individuellen Bezug der einzelnen menschlichen Persönlichkeit zum persönlichen Gotte. Uns interessiert an der Idee des Schicksals, wie sie das abendländische Denken bisher ausgebildet hat, daß Schicksal stets der Widerstreit des Menschen mit außer- und übermenschlichen Mächten ist. Steiner erhebt die Idee des Schicksals zur Idee des mit sich selbst streitenden Ich-Geistes, auf der Grundlage der substanziellen Einheit von Geist schlechthin und Menschengeist, von Ich und Mensch. Steiners «metaphysische» Idee der Geschichte ist demnach das Ringen des Menschen mit sich selbst. Diese Behauptung muß ungeheuerlich klingen. Daß solche Geschichte eine «Welt»geschichte einschließen könne, scheint auf dem Felde heutiger Philosophie zunächst unvorstellbar. Denn man vergegenwärtige sich doch die aktuelle Situation dieser Philosophie: Man zermürbte die Fundamente bisheriger Metaphysik; die zeitlose, die «unendliche» Vernunft der klassischen Spekulation wurde dispensiert (mit Recht!); man stellt die Vernünftigkeit auf das Fundament der geschichtlichen Existenz des wirklichen Einzelmenschen. Aber man fällt im selben Momente um Jahrhunderte hinter Errungenes zurück. Man vollzieht philosophisch Gebärden, die von religiös-dogmatischen Institutionen eindeutig als Hilferufe gedeutet werden müssen. Unrühmliches Ende einer stolzen Philosophie! Heidegger versteht unter «Metaphysik» einen natürlichen Zustand des menschlichen Individuums, sofern es Philosophie treibt. Der Materialismus Feuerbachs tat dies längst. Feuerbach hatte sogar einen relativ inhaltvollen Gottesbegriff: die «Idee des Menschen», eine nahezu christliche Gottesidee! Der Gottesbegriff Heideggers gewinnt seinen Zugang zum Christentum des Mittelalters (wohin er tendiert, aber um der Betonung der Geschichtlichkeit willen nie gelangen kann) über Kant. Kant hatte dem theistischen Vorseher- und Schöpfergott seinen Schöpferberuf abgenommen, ihn zum Sittengesetz gemacht, den Gott «im Bewußtsein» des Menschen verankert. Heidegger gräbt tiefer in den Gründen menschlicher Existenz. Das existenzielle Gotteserlebnis seiner Metaphysik ist die - Angst. Sein philosophischer Gott ist die Umschreibung der philosophischen Abenteuer, die jede Welterklärung zu bestehen hat, wenn sie die Aussichtslosigkeit der Logik in Ansehung der Ganzheit der Welt einzusehen beginnt. Das «Nichts» bildet für Heidegger die Blendlaterne bei dem «Einbruch» über die Mauer des zu übersteigenden «Seins» ins «Dasein». «Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf dem Grunde der verborgenen Angst ist das Übersteigen des Seienden im ganzen: die Transzendenz.» (Martin Heidegger, «Was ist Metaphysik», S. 22, Cohen, Bonn 1929) Soll man sich da nicht Schleiermacher loben - und die Glosse Hegels dazu, der den Hund den besten Christen nennt, weil er das ausgeprägteste «Abhängigkeitsgefühl» hat? Schleiermacher trachtete nach Vermittlung zwischen Theologie und deutschem Idealismus. Heidegger wird manches vermitteln; zuvor kommt es ihm auf die Brechung der Macht der Philosophie an, die diesen Namen allein verdient. Er repräsentiert die für die Jugend bestechendste Form der Diskreditierung des philosophischen Geistes deutscher Vergangenheit. Einen philosophischen Geschichtsbegriff wird sich diese neueste Metaphysik bei der Theologie ausborgen müssen. Steiners Schicksals- und Geschichtsbegriff, der im Rahmen dieser knappen Gedanken zunächst nur als abstrakte Behauptung auftritt, trifft die Philosophie der unmittelbaren Gegenwart ganz unvorbereitet. Selbst die Philosophie eines Berdjajew, eines andern Repräsentanten hochaktueller Metaphysik, in welcher der deutsche Geist kräftiger fortzeugend wirkt als sonstwo, selbst Berdjajew entbehrt der Elemente zum Verständnis der Konsequenzen, die Steiner aus dem deutschen Geiste zeugt. Hier ist es die dogmatische Gebundenheit christlicher Orthodoxie, die Schranken aufrichtet. Diese östliche Orthodoxie mag weit die Grenzen westlicher Katholizität überschreiten: die Unbefangenheit für den Ansatz Steiners vermag sie nicht aufzubringen. Es ist schon viel, wenn die philosophische Theologie Berdjajews ein Drama Gottes zuläßt, wenn sie Gott mit dem Schicksal der Welt identifiziert. Sie beweist damit ihre «pantheistische» Tendenz, die sie den großen Deutschen verwandt macht. Gott - dies ist die Lehre Berdjajews - offenbarte sich durch einen Menschen. Die historische Offenbarung Gottes ist eine unfertige. Was sie selbst nicht offenbaren kann, das Schöpfertum des gegenwärtigen Menschen, das muß dieser zu der empfangenen Offenbarung hinzufügen. Hätte Gott auch das Schaffen offenbart, so wäre das gegenwärtige menschliche Schaffen kein schöpferisches. Dem wirklichen Menschen wird in dieser Philosophie des Gottmenschentums ein hoher Rang zuerkannt. Der Mensch bleibt indessen ein religiöses Problem. Steiner macht aus der Menschenfrage eine anthroposophische Aufgabe. Max Scheler erscheint in seiner letzten Periode stark beeindruckt von Berdjajew, doch in den westlichen Denkformen Schelers wird die Philosophie des östlichen Gottmenschentums zum Bankerott des katholischen Theismus. - Das Motiv und Thema des hier Angetönten verträgt und fordert eine Durchführung und Variation. Sie soll gegeben werden. ¾