Kultur und Wissenschaft
Naturwissenschaft und Religion
Der Schreibende ist zutiefst überzeugt nicht nur von der Notwendigkeit, sondern auch von der praktischen Möglichkeit einer echten Versöhnung moderner Naturerkenntnis und geschichtlicher Religion. Man darf überzeugt sein, daß diese Versöhnung von Naturwissenschaft und Religion keine Liebhaberangelegenheit, sondern eine Kardinalfrage des Gedeihens »Europas« ist. Sie sind uns gut bekannt, alle jene, denen eine solche notwendige Versöhnung gegen den Strich ist. Es ist kein Zufall, aber wohlbekannt, daß diese Gegner einer echten Versöhnung von Wissen und Glauben bezeichnenderweise auf der Seite des eingebildeten Bourgeoistums zu finden sind, wo sie angestammte Privilegien, darunter das Privilegium der religiösen Bevormundung der sogenannten Masse zu verteidigen haben. (Oder dann finden sich die Gegner auf der äußersten linken, wo sie ihrerseits leutselige Belange zu verfechten haben.)
Um dem harrenden Volke Sand in die Augen zu streuen, verfallen die Privilegierten auf bezeichnende Methoden: Sie inszenieren den Streit zwischen den historischen Konfessionen. Sie schieben geistlose konfessionelle Zänkereien in den Vordergrund, - der dadurch lenken sie spielend ab von Wichtigerem und Wesentlicherem, nämlich zum Beispiel eben von der dringlichen Aussöhnung des modernen Wissens mit denen Grunderkenntnissen des Christentums. Diese Konfessionsstrategen können zwar sehr wohl wissen (und sie wissen es auch sehr wohl!) daß die Existenz der Schweiz durch nichts verhängnisvoller gefährdet würde, als durch eine Neuauflage des « Kulturkampfes » in unserem zwanzigsten Jahrhundert. Man sollte es unentwegt und immerfort in allen schweizerischen Schulstuben verkünden, daß jener Kulturkampf der 1870er Jahre weit mehr mit hoher Politik als mit Kultur und Religion zu tun hatte. Der Begriff ‹Kulturkampf› ist unlöslich verbunden mit dem Namen Bismarck und mit der Erinnerung an die Begründung der katholischen deutschen Zentrumspartei, die im Jahre 1918 ausradiert wurde, und zur Zeit auf günstigen Wind harrt. Zur Regierungszeit Bismarcks benutzte der polnische Nationalismus der damals im deutschen Reichsverbande lebenden Polen die katholische Kirche als brauchbare Waffe gegen den verhaßten Kanzler. Bismarck schlug temperamentvoll zurück. Das war der politische Entstehungsgrund des sogenannten ‹Kulturkampfes›. Wenig später konnte Bismarck auch anders. Die Notwendigkeit einer neuen Finanzpolitik führte Bismarck zur Preisgabe der bisherigen freihändlerischen Zollpolitik, im Sinne einer allgemeinen Zollpflicht auf alle Importe, auch der Rohstoffe, im vermeintlichen Interesse der nationalen Arbeit. Weil beim Kampf um dieses neue Zollgesetz Bismarcks politische Gefolgschaft versagte und weil er das Gesetz nur mit Hilfe der zum Zwecke des ‹Kulturkampfes› gegründeten katholischen Zentrumspartei durchdrücken konnte, deswegen wurde von Bismarck der Kulturkampf abgeblasen und fand sein unrühmliches Ende. Mit dem Papst in Rom wurde jetzt scharwänzelt und getechtelmechtelt und der Theologe Karl Barth erwähnt in seiner dicken Dogmatik mit Behagen die historische Tatsache, daß der Papst dem großen Reichskanzler sogar einen richtigen Orden verlieh. Also hütet euch am Morgarten! Wendet euch besseren Dingen zu! Unsere Gegenwart ist trotz allem reich an echtem Wissen. Es verlohnt sich, danach Ausschau zu halten. Der Streit der Konfessionen ist eine altmodische, eine überlebte Sache. ...