Robert Völpels «Grundlagen der Literaturgeschichte»
Vorwort von Rüdiger Blankertz, in:
Robert Voelpel:
Die Grundlagen der LITERATURGESCHICHTE (1932)
Illustrationen von Karl Ballmer
Die hier folgende Studie von Robert Völpel entstand 1929 im Umfeld des bekannten Malers der ‹Hamburger Sezession› und zugleich weitestgehend unbekannten Philosophen Karl Ballmer (*23.2.1891 Aarau, W 7.9.1958 Lugano) und seiner «Rudolf-Steiner-Blätter». Als Philosoph stellte sich Ballmer nach einem eingehenden Studium der Verantwortung für eine angemessene öffentliche Vertretung der Anthroposophie Rudolf Steiners (1861-1925). Er betrachtete es als seine Aufgabe, sich «durch die Erwerbung eines umfassenden Fundus an Wissen auf philosophischen und sonstigen wissenschaftlichen Gebieten […] die zureichenden Grundlagen zu verschaffen für eine absolut selbständige Beurteilung der von Dr. Steiner aufgerollten Erkenntnis- und Wissenschaftsprobleme», um der Anthroposophie den «Anschluß an die Bildungshöhe der Zeit» zu gewährleisten. Die Anthroposophie Rudolf Steiners tritt zunächst als Literatur auf. Damit stellt sie auch ein Phänomen der Kultur- und Literaturgeschichte dar. Andererseits ist aber die Weiterentwicklung der Kultur und Literatur durch seine Anthroposophie ein Thema Rudolf Steiners. So stellt sich durchaus die Frage, welche Veränderung das gängige Kultur- und Literaturverständnis durch die Anwendung anthroposophischer Gesichtspunkte erfahren hat. Rückbezüglich wird man durch diese Veränderung aber auch etwas über das literarische Selbstverständnis der Anthroposophie Rudolf Steiners erfahren können. Und dazu liefert Robert Völpel einen sehr interessanten Beitrag.
Noch interessanter wird, was Völpel zu sagen hat, im Hinblick auf den Unterricht im Schreiben und Lesen, wie er durch die Pädagogik Rudolf Steiners in den Freien Waldorfschulen gehalten werden soll. Dazu soll hier etwas vorläufiges angedeutet werden.
Von Karl Ballmer stammen die Illustrationen der Originalausgabe, die in diesem Reprint ebenfalls enthalten sind.
obert Völpel geht von der erlebten Einsicht aus, daß das menschliche Bewußtsein einer in Einzelteile zerfallenen Welt- und Selbsterfahrung gegenübersteht. Im menschlichen Ich aber findet sich die Bewußtseins-Instanz, die diesen Zerfall konstatiert. Nunmehr muß sie danach streben, den verlorenen Zusammenhang der Teile des Weltganzen mittels Beobachtung und Denken wiederaufzufinden. Allerdings «ergibt ein bloß beobachteter Vorgang oder Gegenstand aus sich selbst nichts über seinen Zusammenhang mit anderen Vorgängen oder Gegenständen. Dieser Zusammenhang wird erst ersichtlich, wenn sie die Beobachtung mit dem Denken verbindet. Beobachtung und Denken sind die Ausgangspunkte allen geistigen Strebens des Menschen, insofern er sich eines solchen bewußt ist.» (Rudolf Steiner, «Die Philosophie der Freiheit», 3. Kapitel) Um den verlorenen Zusammenhang in der Wirklichkeit wiederzufinden, bedarf es des Bewußtseins des eigenen geistigen Strebens. Dieses Bewußtsein ist die Grundlage der menschlichen Kultur und Geschichte. Es ist auch die Grundlage der Literaturgeschichte. Denn ohne die Versuche, den Zusammenhang der auseinanderfallenden Welterlebnisse aus eigener Kraft herzustellen und davon anderen Mitteilungen zu machen, kann es keine Literatur geben. Die Art, wie diese Mitteilungen in der Schrift sich historisch entwickeln, gibt Aufschlüsse über die Bewußtseinsverfassung der Zeitalter. Naturgemäß kann man einen Einblick in die Geschichte des Verstehens des Geschriebenen nicht in gleicher Weise erlangen.
Gewöhnlich wird das Auseinanderfallen der Welterscheinungen nicht immer klar bewußt; die unbewußte denkende Betätigung hat bei der Ausbildung des gewöhnlichen Bewußtseins eine Art der Wiederverbindung des Auseinandergefallenen bereits hergestellt und zu den mehr oder weniger kohärenten Vorstellungen über die innere und äußere Welt verbacken, mit denen wir uns immer schon die divergenten Welterscheinungen zurechterklären. Die Kohärenz der Weltelemente, die der Beobachtung gegeben sind, zu zusammenhängenden Bewußtseinsinhalten bildet sich bereits in früher Kindheit auf heute vielfach erforschte Weise aus. Dies besagt aber nicht, daß die Bildung der Fähigkeit dazu in gleicher Art erforscht wäre. Die Art, wie das eigene Bild von der Welt sich ausbildet, tritt nämlich nicht selbst ins Bewußtsein ein, da es zu den konstituierenden Faktoren dieses Bewußtseins selbst gehört. Das Bewußtsein kann seine es konstituierenden Elemente nur mittels besonderer Wahrnehmungsorgane erforschen, deren Entwicklung in den anthroposophischen Schriften Rudolf Steiners beschrieben und nachvollziehbar dargestellt ist. Wie diese Konstituierung erfolgt, kann jedoch nur dann erfahren werden, wenn es eine Möglichkeit gibt, den Entwicklungsprozeß selbst zu beobachten. Bevor man im Laufe der anthroposophischen Ausbildung durch Introspektion dazu kommt, die Entwicklung seines eigenen Bewußtseins rückblickend zu beobachten, kann dieser Vorgang aber auch in vivo erlebt werden, indem man sich dem sich entwickelnden Menschen, dem Kinde zuwendet. Die Gelegenheit dazu hat man weniger im Labor, als in der Schule. Dort besteht geradezu die Verpflichtung, das sich entwickelnde Wesen des Menschen beobachten und verstehen zu lernen und sich entsprechend zu verhalten.
it dem Eintritt des Kindes in die Schule ergibt sich eine Gelegenheit für die Schüler und die Lehrer, den Konstitutionsakt der zusammenhängenden Weltvorstellung erstmals künstlerisch zu bearbeiten. Diese Gelegenheit ist der Anfangsunterricht im Schreiben und Lesen. Rudolf Steiner hat immer wieder betont, daß gerade die sachlich richtige Art des Schreiben- und Lesenlernens in der ersten Schulzeit von entscheidender Bedeutung dafür ist, ob der einzelne Mensch sich einmal der Aufgabe stellen kann, die Bedingungen des eigenen Bewußtseins als eine Frage seiner selbst an sich selbst zu erkennen, bei deren Aufwerfen und Beantwortung er selber über seine geistige Freiheit entscheidet. ‹Anthroposophie› ist ein terminus technicus Steiners für diese von ihm dargestellte Möglichkeit der Selbstverständigung des Bewußtseins im Leben. Die von Steiner 1919 auf Grundlage seiner anthroposophischen Weltanschauung begründete Waldorfpädagogik beruht auf einer höchst ungewöhnlichen Auffassung über die Vorgänge, die sich seelisch und geistig beim Schreiben- und Lesenlernen abspielen. Da diese anthroposophische Auffassung der genannten Vorgänge so ungewöhnlich ist, wurde sie auch von Waldorfpädagogen oft nicht wirklich verstanden und nur als eine äußerliche Methode angewendet, die dann angeblich zu den gleichen Ergebnissen führt wie die sich auf völlig andere Voraussetzungen berufenden Methoden der landläufigen Lese- und Schreibdidaktik.
Die Erziehungskunst Rudolf Steiners betrachtet nicht das Lesen als die logisch und zeitlich primär zu erwerbende Fertigkeit, sondern das Schreiben. An diesem Punkte setzt Völpel an und stellt diese logisch-historische Selbstverständlichkeit an den Anfang seiner Überlegungen: daß nämlich etwas Geschriebenes da sein muß, bevor es gelesen werden kann. Die Schrift aber geht aus dem Akt des Schreibens hervor. Beim Schreiben wird der ursprüngliche, im Bewußtsein präsente unmittelbare Zusammenhang des Gedachten und Gesprochenen in Zeichenketten auseinandergelegt, die ihren Zusammenhang mit dem, was sie bedeuten, nicht in mehr sich selbst tragen. Es geht der zuvor innerlich erlebte Zusammenhang des Gedachten und Gesprochenen verloren. Im Niederschreiben zerfällt der Zusammenhang des Gedankens in die Abfolge der einzelnen Zeichen, der vom Schreiber niedergeschrieben werden. Der Akt des Schreibens erstarrt zu der Spur der Handbewegung, die nun die Schrift darstellt.
Man kann diesen Vorgang analog dem Tode eines Lebewesens denken. Ist das Leben aus einem Organismus entwichen, bleibt der Leichnam zurück, der alsbald seine Form verliert und in gleichgültige Elemente zerfällt. Die Schrift ist so als der Leichnam des Denkens und des dann Gesprochenen anzusehen, der mittels seiner Konservierung z.B. auf den Blättern als eine sinnleere reine Form erhalten wird. Im Druckwerk ist darüber hinaus auch noch die Spur der Handbewegung verschwunden, aus welcher die Schrift hervorging. Das bloß äußere Nebeneinanderstehen der einzelnen Zeichen fordert einen Zusammenhang, der nicht mehr sichtbar ist. In dem gedruckten Leichnam des Denkens ist das Blut ist erkaltet und das Fleisch fällt von den Knochen, denn das lebendige Bindegewebe der Glieder verwest und nur das tote Gerippe bleibt in dem Sarkophag des Buches übrig.
Bei der bewußten Betrachtung dieses Sterbevorgangs kann nunmehr die Frage entstehen, ob und wenn ja wie denn der in die Schrift erstorbene Gedanke durch den entgegengesetzten Prozeß des Lesens, Hörens und Verstehens im Bewußtsein auferstehen könne. Denn mit dem Hineingestorbensein des Geistes in die Schrift steht der intellektualisierte Mensch der Gegenwart entblößt von allem Verständnis seines eigenen Werdens vor dem Leichnam des lebendigen Geistes, der ihn doch ausmacht. Und er fühlt vielleicht, daß er, seelisch verarmt und von den schöpferischen Kräften des Geistes verlassen, den Ansturm der von ihm selbst entfesselten toten Maschinenwelt gegen ihn selbst als den Lebendigen nicht mehr lange wird standhalten können.
In diesem Moment der Selbsterkenntnis dem Sarkophag des Geistes, am Buche, begegnen dem unbefangenen Beobachter alle Schönheiten und Entsetzlichkeiten des mehr oder weniger unbewußten Umgangs mit dem toten Buchstaben. Von dem ehrenden, aber innerlich teilnahmslosen Andenken der Traditionsvereine, das sie den literarischen Denkmälern entgegenbringen, über die interpretatorische Nekrophilie der universitären Literarvampire und die systematische Leichenfledderei der Geistverwertungsgesellschaften bis zu der Trauergemeinschaft der hoffnungslos Enterbten des Leibes und der Seele spannt sich der Kreis der Hinterbliebenen. Das moderne intellektuelle Bewußtsein, vor dem Druckwerk wie am Grabe der eigenen Kultur stehend, sendet sein ihm unbekanntes keimendes inneres Leben, das es nicht fassen und halten und mehren kann, dem verstorbenen Geist schriftstellernd in die Buchgruft nach, ohne zu wissen, was ihm durch dieses sein eigenes Tun durch es selbst geschieht. Man sucht zwar in der Schrift den verlorenen Geist, man will aus dem toten Buchstaben durch die grausamsten Torturen, durch die Ausreißung der Glieder, die Ausschneidung der Organe ein dem gestorbenen Geiste ähnliches Wesen zusammenzunähen, damit dann die gelehrigen Schüler eines auf literarischem Gebiet wirkenden Dr. Frankenstein ihm ein künstliches Leben in den elektronischen Medien angalvanisieren mögen. Aber es kann dies am lebendigen Geiste frevelnde Werk doch nicht gelingen.
Warum das Werk Frankensteins, mit dem heute die Wissenschaft fast ausschließlich befaßt ist, nicht gelingen kann, liegt für Völpel als dem Kenner der Erziehungskunst Rudolf Steiners auf der flachen Hand. Für ihn ist der Abgrund des Todes, der sich zwischen dem Schreiber und dem Leser auftut, und der durch den Sarkophag des Buches nicht überbrückt werden kann, kein Ende, sondern ein Anfang. Die christliche Verheißung der Auferstehung des Geistes im Fleische verwandelt sich ihm in die Verheißung der Auferstehung des toten Geistes des Autors der Schrift im lebendigen Leser. Diese Verheißung aber kann nur erfüllt werden, wenn das Lesen in der rechten Art erlernt und ausgeübt wird. Die Erziehungskunst Rudolf Steiners betrachtet die erst noch selbst zu leistende Auferstehung des toten Geistes des Buchstabens im Fleische des Lesers als den Ernstfall einer modernen Kulturpädagogik, von dessen Antizipation her sie sich zu bestimmen und zu gestalten hat. Um die Brücke über den Abgrund zwischen dem Schreiben als dem Sterben des Geistes in die Schrift und dem wahrhaften Lesen als der Auferstehung des lebendigen Geistes im Fleische zu bauen, muß die Steinersche Waldorfpädagogik die Grablegung des Geistes in dem heiligen Akt des Schreibens bewußt inszenieren als wäre dieser vom Kind vollzogene Akt das Weltendrama selbst. Dies gelingt aber nur dann, wenn die Kontinuität des Bewußtseins im Tode, also beim Schreiben der Schrift im Kinde und im Lehrer nicht abreißt.
Das Kind wird durch gewisse Vorbereitungen dazu veranlaßt, aus den lebendigen Bildern seiner Seele selbst die Formen der Buchstaben zu bilden, in welche diese Bilder dann hineinsterben können. Bei der kühlen Betrachtung dieser selbsterzeugten toten Formen aber ist dem kindlichen Schreiber noch in der Erinnerung, wie dieser Leichnam zustande gekommen ist: Er kann sich in der Betrachtung der selbstgeschriebenen Zeichen erinnern, wie die Schrift als Leichnam seiner lebendigen Innenerlebnisse geworden ist, und weiß ganz aus sich heraus, auf welche gehabten Erlebnisse diese Zeichen ihn als Leser derselben verweisen. Denn er war ja selbst der Erzeuger dessen, was ihm in Gestalt der toten Buchstaben entgegentritt. Ja, sein inneres Leben ist selbst in diese Zeichen hineingestorben, und er war als Blutzeuge dabei, als dieser Tod geschah. So erliest das Kind aus den vor ihm liegenden selbsterzeugten Worten und Sätzen durch die Kraft der Erinnerung, die den Abgrund des Todes überspannt, was in ihm selbst einst lebendiges Bilderweben gewesen war. Es erkennt, was es liest, als das eigene Erleben vor dessen Absterben in der Schrift wieder. Er weiß sich selbst als den Autor dessen, was er als Leser in Gestalt der geheimnisvollen Zeichen vor sich hat. Nur Selbstgeschriebenes zu lesen in der Zeitspanne, die für das Erlernen des Schreibens und Lesens aus den Entwicklungsgesetzen der kindlichen Seele sich ergeben, ist eines der methodischen Mittel, durch welches aus dem Abgrund des Todes die Kultur des Geistes mittels der Kraft der Erinnerung in jedem Menschen sich erneuern kann.
ölpel entwickelt in seiner kleinen Schrift den Gedanken des Zusammenhangs zwischen Schreiben und Lesen, indem er sie in der siebengliedrigen Entwicklungsform hervorgehenden Lebens im Bewußtsein darstellt. Diese Gedankenform erweist sich nicht nur als in sich schlüssig, sondern als ein mächtiges Werkzeug zur Gliederung der Gedankenmassen, die sich bei den bisherigen Versuchen zur Beantwortung der Frage nach dem Leben und Sterben des Geistes in der Literatur aufgetürmt haben. Er zeigt, daß durch eine anthroposophische Orientierung der Art und Weise, wie die intimen Bewußtseinsvorgänge beim Schreiben und Lesen betrachtet werden, die Möglichkeit entsteht, die Literaturgeschichte zugleich als ein Glied der Menschheitsgeschichte und der Geschichte des Kosmos zu verstehen. In der Literaturgeschichte spiegelt sich bei Völpel die Menschheitsgeschichte selbst, obwohl die letztere viel umfassender ist als die erstere, vollständig ab. In den neueren Forschungsergebnissen der Archäologie und der Linguistik wäre sicher manches zu finden, was die Erklärungsmacht seines Gedankens noch weiter demonstrieren könnte.
Die geistige Grundlage der Literaturgeschichte ist nach den anthroposophischen Gesichtspunkten Völpels dieselbe wie die Grundlage der Weltgeschichte, der Naturgeschichte, der Geschichte des Weltalls usw. selbst. Denn was auch immer von der Welt, der Natur, dem Kosmos, der Seele, dem Geiste und dem Leben an uns Menschen durch die Beobachtung herantritt, es erscheint heute zunächst stets so, wie uns eine vollgedruckte Seite erscheinen würde, wenn wir des Lesens nicht kundig wären: Als eine Ansammlung einer Fülle merkwürdiger einzelner oder auch gruppenartig verbundener Formen, die man als Spuren von Bewegungen eines unbekannten Etwas oder Jemand bestimmen, deren Sinn man aber aus der bloßen Beschreibung dieser Formen nicht erschließen kann. Ohne des Lesens kundig zu sein, kann man zwar Untersuchungen anstellen über die Ähnlichkeit der vorgefundenen Formen, über ihre statistische Häufigkeit, über die ihre mögliche Entstehungsweise oder auch über die Haltbarkeit des Trägermediums, auf dem sie erscheinen, und diese ‹Wissenschaft› dann Physik oder Astrophysik oder Metaphysik oder Linguistik oder Philologie nennen.
Hinter den Sinn dieser Formen kann man aber nur kommen, wenn man des Lesens kundig ist. Wir blicken heute in das Buch der Natur, in das Buch des Geistes, in das Buch des Lebens oder das Buch des Schicksals und können sie doch alle nicht lesen. Wir denken uns vielleicht nach der anstrengenden wissenschaftlichen Befassung mit der Statistik der Zeichenhäufigkeit, dem Buchgewicht, seinen Maßen, seinem Material und seiner Färbung usw. im träumenden Betrachten der Formen der Zeichen lustige oder weniger lustige Geschichten aus, um uns dann zu sagen, daß diese schönen Geschichten mit den Zeichen, in die wir sie hineinträumen, leider gar nichts zu tun haben können. So fällt uns die Welt auseinander in eine Welt der Sachen, wie wir nicht verstehen, und der Fiktionen, die sachlich überflüssig sind und nur der Unterhaltung von durch das Studium von Statistiken erschöpften Gehirnen dienen. Aber wir haben noch immer nicht bemerkt, daß der elende Gesamtzustand unserer Zivilisation daher kommt, daß uns die Fähigkeit des Lesens in diesen Büchern, die die Welt bedeuten, abgeht. Und wir bemerken meist noch nicht einmal, daß es sich um Bücher handelt, und daß diese nur durch richtiges Lesen verständlich werden können. Wir denken immer noch, indem wir die vollgedruckten Seiten des Buches der Natur betrachten, es handle sich bei den sichtbaren Formen der Naturerscheinungen um materielle oder auch energetische Teilchen, die rein zufällig irgendwie interessante Muster auf einem Trägermedium machen, und fragen nicht einmal nach der Herkunft und dem Zweck des Letzteren. Wir bemerken auch nicht, daß wir uns ja vorstellen müßten, wir selbst würden auch aus solchen Formen bestehen. Und uns fällt nicht die Frage bei, wie es dazu kommen kann, daß diese Formen sich selbst in uns nach ihrem Sinn befragen…
Robert Völpel hat diese Frage gestellt und er hat sie in einer schlüssigen Form für die Literaturgeschichte beantwortet. Daß diese Antwort auch als solche wahrgenommen wird, dazu wird nötig sein, daß ihr Fehlen bemerkt wird. Und daß aus diesem Fehlen die Frage sich entwickelt, die jeder nur selbst sich denkend stellen kann. Völpels kleine Schrift kann dieser Frage, so sie sich bereits regt, Nahrung geben. Deshalb sei sie in diesem ersten Nachdruck dem interessierten Publikum übergeben.
Rüdiger Blankertz Stegen bei Freiburg, im Oktober 2004
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