Am 6. Juni 1884 erschien der erste Aufsatz von Rudolf Steiner in der Wiener «Deutschen Zeitung», Nr. 4463 (Abendausgabe).
Als der Leibfiaker des Kronprinzen Rudolf und vertrauter Besucher des berühmten Café Griensteidl , Bratfisch, am Abend dieses 6. Juni dortselbst den Geologen Edmnund Suess («Das Antlitz der Erde») über die Schulter blickte, um zu sehen, was er da mit vor Aufregung geröteten Wangen in der Zeitung las, sagte er nur trocken: «Schau, da siagst eam eini!»
Diese - im Goetheschen Sinne «ungeheure» Entdeckung der beiden ist in der Kulturwelt bis heute völlig unbekannt geblieben. Vor allem bei den Anhängern Steiners findet man kaum ein Interesse dafür, die Aussagen Rudolf Steiners auf ihn selbst anzuwenden. Obwohl das wesentliche Unterscheidungsmerkmal seiner Anthroposophie von schlechterem darin besteht, daß man von ihr sagen kann:
«Eine Theorie, eine Weltanscheuung muß standhalten können, wenn sie auf sich selber anwendet, sonst zerbröckelt sie in nichts.»
Rudolf Steiner, Vortrag vom 11. 11. 1917, in GA 178, S. 168 - Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen.
Ich habe mir die Frage gestellt, wann wohl der versuchsweise «aktualisierte» Aufsatz Rudolf Steiners, in dem seine Aussagen auf den Autor Rudolf Steiner selbst angewendet werden, veröffentlicht, auf ein Verständnis treffen wird.
Auszug:
[...] Das Wesen Steiners im Zusammenhang seines Werkes zu erfassen, dazu gehört Produktivität des Geistes. Es ist dazu noch mehr nötig, als die Beobachtung unzähliger Einzelheiten unseres Lebens- und Erfahrungshorizontes und deren kombinierende Zusammenstellung. Die Gesetze gehören der Wirklichkeit an, wie auch das innere Gesetz des Steinerschen Werkes zu ihm selbst gehört. Aber wir können die Gesetze aus der Wirklichkeit des Gegebenen nicht entlehnen, wir müssen sie anhand der Erfahrung schaffen. Wie Galilei die Mechanik, wie Goethe die Wissenschaft des Organischen durch seine Gesetze geschaffen hat, so begründet Steiner schon durch sein Auftreten die Wissenschaft von der Initiation, d.h. die Wissenschaft von der geistigen Selbstproduktion des Menschen. Das ist sein wahres Verhältnis zur Wissenschaft. Wie Goethes Organik der Reflex der Erscheinungen der organischen Welt, wie die theoretische Mechanik der Reflex der mechanischen Naturerscheinungen ist, so ist Steiners Erkenntniswissenschaft der Ursprung der geistigen Welt in uns, und der denkende Nachvollzug seiner dargestellten Erkenntnisleistung der Beginn der Geist-Welt, in welcher der Geist sich selbst als Welt, die Welt als Geist handelt. An den uns bloß zufallenden Ergebnissen der Wissenschaft Steiners kann man ins Unendliche hinein neue Tatsachen entdecken: Der Wendepunkt, an dem sie sich von einer unwissenschaftlichen zur wissenschaftlichen Methode erhebt und damit ihre Zufälligkeit überwindet, ist bei Steiner selbst zu suchen. [...]
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