Die Judenfrage
von Karl Ballmer
[1946]
(Die Seitenzahlen der Buchausgabe stehen in Klammern)
Der Weltruhm des MathematikerPhysikers Einstein strahlt von Kontinent zu Kontinent. Wenn Optimisten davon träumen, daß wir einem spirituellen Zeitalter entgegengehen, dann pflegen sie sich gern mit mehr oder weniger klaren Vorstellungen auf den Pionier Einstein zu berufen, von dem mindestens gesagt werden kann, daß er gewisse Wissenschaftspositionen, die bislang dem Materialismus Hilfsdienste leisteten, zum Wanken gebracht hat. Es gibt indessen auch ernsthafte Physiker und Philosophen (unter ihnen an erster Stelle den Schweizer Otto Brühlmann), die sich vom einseitigen Mathematismus der «modernen» Physik in herbster Kritik distanzieren, indem sie z.B. unter «Licht» nicht einen materialistischen Atomenspuk verstehen wollen, sondern eine lebendige Entität und Realität, die mit dem «Geist» de forschenden Physikers eine und die gleiche Wurzel hat. Noch für den gesunden Monismus der mittelalterlichen Philosophie ( bei Thomas von Aquino handelt es sich zwar nicht um einen Monismus der Erkenntnis, aber um einen solchen der Seinswirklichkeit) war es eine Selbstverständlichkeit, eine physikalische Lichtlehre im menschlichen oder göttlichen DenkLicht zu verankern. Vielleicht huldigt man wirklich einer unbegründeten Illusion dort, wo man den fragwürdigen Status der gegenwärtigen Physik propagandistisch für geistliche Belange glaubt fruktifizieren zu sollen. Ob sich die gegenwärtige Naturforschung «auf dem Wege zu Gott» befinde, darüber müßte man doch wohl auch diejenigen anhören, die in der durch Einstein repräsentierten Wissenschaftsmethode eine groteske Verirrung des menschlichen Geistes sehen müssen. Mit irgend einem Antisemitismus werden solche Restriktionen gewiß nichts gemein haben, umso weniger, als im judenfeindlichen nazistischen Deutschland die wissenschaftliche Geltung Einsteins unbestritten war und es auch heute ist. Nicht der Physiker, sondern ungeistigpolitisch der Jude Einstein war in Hitlerdeutschland unmöglich,
Hitler hat in einem gewissen Sinne den traditionellen religionspolitischen Gehalt der «Judenfrage» ad absurdum geführt. Das simple Rezept, die (4) Juden als die Feinde der erlösten Menschheit zu behandeln, verspricht keinen Effekt mehr in einer Welt, deren Christlichkeit selbst problematisch ist. Es könnte eine Dokumentation echter christlicher Demut sein, wenn man eine gewisse intellektualistische Einseitigkeit auf dem Gebiete des theoretischen Natur und Weltverständnisses als menschheitsfeindlich empfinden wollte. Man könnte sich die entschieden «jüdische» Tönung einer modernen Physik eingestehen, für die der Name Einsteins repräsentativ ist. Die Frage der Bereitwilligkeit oder Nichtbereitwilligkeit der Juden zum Erlöstsein könnte sich in die Frage verwandeln, ob der einseitige «jüdische» Wissenschaftsintellektualismus, wenn er von Christen praktiziert wird, das Stadium der Erlösungsbedürftigkeit bereits überwunden habe. Es fehlt uns der sichere natürliche Instinkt, um hinter gewissen wissenschaftlichen Haltungen einen nackten Zynismus zu erkennen, Wer etwa bei Goethe Ehrfurcht gelernt hätte vor dem Welt und MenschenGeheimnis, wird sich abgestoßen fühlen von der leichten Art, wie im Stile Einsteins der Übergang vom PhoronomischMathematischen zum Realen fingiert wird. Der Zynismus einer wurzellosen Intelligenz spricht aus dem berühmten Axiom . «Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.» (Einstein, in «Geometrie und Erfahrung» ).
In Amerika genießt Einstein nicht nur den Ruf des bedeutendsten Physikers unserer Zeit, er ist dem Fortschrittsrausch der Amerikaner das populäre Symbol der welterobernden menschlichen Intelligenz. Immerhin bemerkt man sogar in Amerika an der Intelligenz Einsteins, sofern er als politischer Weiser auftritt, eine deutliche Realitätsfremdheit. Einsteins Vorschlag, den Russen das Geheimnis der Atombombe unbedingt vorzuenthalten, dagegen dessen Verwaltung einer «Weltregierung», bestehend aus Amerika, England und Rußland anzuvertrauen, wirkt ja in der Tat reichlich weltfremd.
Auch bei uns wäre gelegentlich Veranlassung gegeben, sich darüber zu verwundern, daß die Glorie eines Physikernamens genügt, um seinen Träger als Exponenten des «Geistes» zu nehmen. Während des vergangenen Krieges sprach der greise Berliner Professor Max Planck an schweizerischen Universitäten. Im Zeichen der bei uns beliebten Fiktion, die hohe reine Wissenschaft stehe unberührt hoch über den Niederungen der Politik, konnte dieser Vertreter der modernen Physik bei uns beträchtliche Erfolge buchen, für die sicher auch Herr Goebbels Verständnis hatte. Die schweizerische akademische Jugend wird kaum Veranlassung haben, sich vorn Berliner Professor Max Planck in den Geist der Freiheit einführen zu lassen. Man darf sich doch wohl herausnehmen, den Gehalt der Freiheitslehre des Berliner Physikers für nicht beträchtlich zu halten. In einer Publikation Plancks heißt es : «So müssen wir unweigerlich zugeben, daß selbst der Geist eines Kant, eines Goethe, eines Beethoven, sogar in den Augenblicken seiner höchsten Gedankenflüge und seiner tiefsten Seelenregungen, dem Zwang der Kausalität unterworfen war, ein Werkzeug in der Hand des allmächtigen Weltgesetzes. Freilich. Daß ein an Weisheit uns himmelhoch überlegenes Wesen, das jede Falte in unserem Gehirn und jede Regung unseres Herzens durchschauen kann, unsere Gedanken als kausal bedingt erkennen würde, das müssen wir uns schon gefallen lassen. Darin liegt aber keinerlei Entwürdigung unseres berechtigten Selbstgefühls. Teilen wir doch diesen Standpunkt mit den Bekennern der erhabensten Religionen.» Professor Planck behauptet hier also, die «erhabensten Religionen» schlössen Freiheit aus. Das ist, erstens, nicht wahr ; und wenn es wahr wäre, dann würden wir, zweitens, ohne Zögern die «erhabensten Religionen» zum alten Eisen werfen. Denn, wenn unsere Existenz irgend einen Sinn haben soll, so kann es nur das Ringen um Freiheit sein. Neben dem Professor Planck hatte auch der Apostel Paulus Vorstellungen über das «Weltgesetz», als er den Übergang von der erhabenen Religion des Alten Testaments zum Neuen vollzog. Der Apostel Paulus verstand unter Freiheit die Fähigkeit der Menschen, den beschmutzten Rock des Menschengottes am Kreuz als «Weltgesetz» anzuziehen. Dieses Weltgesetz wirkt kausal, jedoch nur dann, wenn solche da sind, die das Weltgesetz realisieren wollen, das heißt : man hat es mit einer Kausalität zu tun, die nicht zwangsläufig naturhaft wirkt, sondern nur dann, wenn Freie es wollen. Man bleibe uns also vom Leibe mit Hohenzollernphilosophie. Wir wollen uns dafür der Frage aufschließen, ob möglicherweise das Paulinische Weltgesetz auch die wissenschaftliche Intelligenz als solche zu beleben hätte.
(6) Ich bin nicht davon überzeugt, daß sich die «reine» Forschung unberührt vom politischen Wellengang abspielt. Zu gewissen weltgeschichtlichen Zeitpunkten kann man gar zu empfinden glauben, wie bestimmte hochwissenschaftliche Theoreme sich als Analogien des Politischen ausnehmen, so etwa die berühmte Heisenbergische «Ungenauigkeitsrelation». Heisenberg, Ordinarius für theoretische Physik an der Universität Leipzig, genießt neben Planck und Einstein ebenfalls Weltruf, Da die physikalische Esoterik, der die Weltberühmtheit der Heisenbergschen «Ungenauigkeitsrelation» entstammt, kaum einer allgemeinverständlichen Erläuterung vor Nichtfachleuten fähig ist, soll hier nur ein Wort fallen im allgemeinsten philosophischen Sinn über die modernphysikalische Denkart. Bekanntlich ist das Forschungsziel der Physik die Einordnung aller physischen Erscheinungen unter ein mechanistisch verstandenes, mathematisch erfaßbares Weltgesetz, also die Auflösung aller Welterscheinungen in einen Weltmechanismus. Wenn Max Planck von den «kausal bedingten höchsten Seelenregungen Goethes» redet, so muß der Physiker Planck dabei an die Rechenformel eines «uns himmelhoch überlegenen» mechanistisch wirkenden «höchsten Wesens» denken, zu welcher Formel man sich im Berliner physikalischen Kabinett offenbar mindestens auf dem Wege der Annäherung befindet. Die Physiker lehnen jede Diskussion als unwissenschaftlich ab, wenn der Gegner ihr mechanistisches Forschungsziel als ein subalternes Ideal betrachten muß. Auf Seite der Vertreter des Geistes und der Religion ist man es zufrieden, wenn ein so berühmter Wissenschafter wie Max Planck in unverbindlicher Weise von einem höchsten Wesen redet. Man will nicht bemerken, wie man mit diesem Laissez faire einen menschenverderbenden Intellektualismus und Agnostizismus fördert, dem letzten Endes Atombomben interessanter sind als der heilige Ernst, mit dem Goethe als Naturforscher einen monistischen Weg zum Verständnis des Welträtsels bereitete. Für die mechanistische Welterklärung der Physiker hat es sich nun als zweckmäßig erwiesen, im Zusammenhang mit der verfeinerten Beobachtung der bewegten «Materie» die strenge Kausalitätsvorstellung zu korrumpieren, weil sich bessere Erklärungsmöglichkeiten ergeben, wenn man mit der Hypothese bloß «statischer» Gesetzmäßigkeit anstelle der kausalen arbeitet. In dieser allgemeinen Situation ist auch die «Ungenauigkeitsrelation» Heisenbergs beheimatet, Ohne die fach (9) liche Esoterik zu kränken darf sie bezeichnet werden als die hypothetische Überlegung, daß sich mit «ungenauen» Urteilsrelationen Erklärungen erzielen lassen, die sonst nicht möglich wären. Der Denkstil der modernen Physiker wird philosophisch relevant durch die Einbeziehung des Freiheitsbegriffes in die physikalischen Überlegungen. Es kennzeichnet den physikalischen Denkstil, daß man überall dort Undeterminiertheit oder «Freiheit» glaubt wittern zu sollen, wo die mechanische Kausalerklärung in der Atomphysik versagt. «Freiheit» wäre gewissermaßen eine Art List, ein Herausschlüpfen aus den Maschen der «Naturnotwendigkeit.» Das ist für ernsthafte philosophische Ansprüche ein peinlich primitiver Freiheitsbegriff. Es ist ein Irrweg, Freiheit aus dem Gegensatz zur Notwendigkeit verstehen, zu. wollen. Ein Naturwesen hat in seinem Wesensgesetz seine Notwendigkeit ; die Wesensnotwendigkeit zur Bewußtheit erheben, heißt die Freiheit des Wesens erkennend realisieren. Freiheit heißt erkennende Bejahung der Wesensnotwendigkeit. Das ist jedenfalls der christliche Freiheitsbegriff. *) Der Christus bejaht in freier Tat die Weltnotwendigkeit seines Menschentodes, er wählt als seine Freiheit die Not aller anderen Menschen. Wir versagen einer Spekulation die Wertschätzung, die den «Geist» nicht als das wesensnotwendige Gesetz des Natürlichen sucht. Es gilt uns als berechtigte Hoffnung, daß es zwischen Goethes GottNatur und der Religion unserer Väter eine Versöhnung geben müsse. Wir wollen uns unseren Glauben an die wissenschaftlich erkennbare Geistigkeit der Natur nicht mehr durch das Bild eines alttestamentlichen WillkürGottes verderben lassen,
Die intellektuelle Not unserer Zeit offenbart sich im menschlich fragwürdigen Erkenntnisideal der modernsten Naturtheorien. Analogien aus der Welt des Politischen drängen sich auf , Wenn Staatsmänner oder Feldherren «Ungenauigkeitsrelationen» produzieren, dann pflegt etwas schief oder zu Bruch zu gehen, Physiker werden mit «Ungenauigkeitsrelationen», wenn sie Glück haben, Weltberühmtheiten, sogar hoch über die Kriegsparteien hinweg, Physikalische Denker wie Planck und Heisenberg sorgen sich um die Stabilität unseres Planetensystems. Professor Heisenberg sprach (8) während des Krieges in einer feierlichen Veranstaltung im Auditorium maximum der Leipziger Universität über die «Umkehrung der bisherigen Realitätsordnung im Kosmos». Sein Vortrag befaßte sich mit der «Einheit der Naturwissenschaften». Er konnte sich seinen Hörern aufs Beste durch politische Vergleiche verständlich machen, weil man gerade mitten in der einheitstiftenden Europa und WeltAktion des Nationalsozialismus stand. Das war im November 1941, Zufällig hatte Adolf Hitler im Oktober seine weltgeschichtliche Rede gehalten über die Neuordnung des Kosmos. Hitler hatte am 3. Oktober 1941 gesagt «Ich spreche das erst heute aus, weil ich es heute aussprechen darf, daß dieser Gegner Rußland bereits gebrochen ist und sich nie mehr erheben wird.» Das war entschieden eine Ungenauigkeitsrelation.
Die Unterstreichung solcher Analogien braucht keineswegs aus der Freude am billigen Spott zu erfolgen. Gesunde Ironie war zu jeder Zeit ein schätzenswerte Korrektiv zu den Gefahren übersteigerter intellektueller Abstraktheit. Man ist sich einig darüber, daß der jüdischen «Rasse» eine hervorragende Befähigung zur Intellektualität und Abstraktion zugesprochen werden muß. Es könnte eine tröstliche Perspektive sein, wenn man probeweise das Prädikat des «Jüdischen» im Sinne der negierten Erlösungsbedürftigkeit auf den unerlösten Intellekt unseres stolzen Wissenschaftszeitalters anwenden würde, nur zur Entlastung der strapazierten politischen Ideologie «Christliches Abendland». Man enthöbe damit eine «Judenfrage» dem Verfallensein an die Welt pöbelhafter Machenschaften.
Der Schreibende ließ sich beim vergleichenden Studium von Physik und Theologie von einer merkwürdigen Beobachtung beeindrucken. Es besteht eine vollkommenste Methodengleichheit beim Physiker und beim Theologen hinsichtlich der Erfassung des die Welt tragenden Realen. Der Physiker wie der Theologe baut sein System auf der Grundüberzeugung auf, daß das Reale ein völlig außerhalb des menschlichen Innenwesens Stehendes sei. Wenn der Physiker z. B. von der Wärme spricht, so betrachtet er nicht etwas, was vom Menschen als Wärme empfunden wird, sondern gewisse Vorgänge in den kleinsten Teilen der Körperwelt. Der Physiker schließt das Innenwesen des Menschen aus seinem Weltbild aus. Wenn die erlebte (9) Innenwelt im weiteren Verlaufe der physikalischen Wissenschaft vorkommt, so nicht als Innenwesen, sondern nur als gedanklicher Bezug von Gegebenheiten, die völlig außerhalb desselben stehen. Religiös empfindende Physiker wie Max Planck verstehen diesen Ausschluß der gesamten erlebten, Sinnesqualitäten (gegen den ein Ernst Mach erfolglos mit untauglichen Mitteln opponierte) geradezu wie ein dem Höchsten dargebrachtes Opfer. Planck hat sich über diese Situation sehr eindrucksam geäußert in seinem Vortrage über «Das Wesen des Lichtes». Auch in der Lichtlehre will es der moderne Physiker, im Interesse einer vermeinten «Objektivität», nicht mit dem subjektiv erlebten Licht oder Bildeindruck zu tun haben; er fingiert den objektiven «Lichtstrahl», den er wie eine physikalische Gegenständlichkeit behandelt (was zu den Schwierigkeiten führte, die dann von Einstein so glorios behoben wurden). Max Planck sagte in dem genannten Vortrage «Daß eine scharfe Trennung des objektiven Lichtstrahls von der sinnlichen Lichtempfindung überhaupt vollständig durchgeführt werden kann, ist keineswegs von vornherein selbstverständlich, und daß sie im Grunde genommen eine sehr schwierige Gedankenoperation bedingt, beweist nichts besser als der Umstand, daß noch vor hundert Jahren ein gerade auch naturwissenschaftlich so reich veranlagter, aber der analytischen Betrachtungsweise weniger geneigter Geist, wie es Johann Wolfgang von Goethe war, der das Einzelne nie ohne das Ganze sehen wollte, es zeitlebens grundsätzlich abgelehnt hat, jene Scheidung anzuerkennen. Und in der Tat. Welche Behauptung könnte für den Unbefangenen einleuchtendere Gewißheit besitzen als die, daß Licht ohne ein empfindendes Auge undenkbar, ein Nonsens ist. Aber was in diesem letzten Satze unter Licht zu verstehen ist, um ihm einen unanfechtbaren Inhalt zu geben, ist etwas ganz anderes als der Lichtstrahl des Physikers. Wenn auch der Name der Einfachheit halber beibehalten worden ist, so hat doch die physikalische Lehre vom Licht oder die Optik, in ihrer vollen Allgemeinheit genommen, mit dem menschlichen Auge, und mit der Lichtempfindung so wenig zu tun, wie etwa die Lehre von den Pendelschwingungen mit der Tonempfindung, und eben der Verzicht auf die Sinnesempfindung, diese Beschränkung auf die objektiven realen Vorgänge, welche an sich ohne Zweifel ein bedeutendes, der reinen Erkenntnis zuliebe gebrachtes Opfer vom Standpunkt des unmittelbaren menschlichen (10) Interesses bedeutet, hat einer über alles Erwarten großartigen Erweiterung der Theorie den Weg geebnet, und gerade auch für die praktischen Bedürfnisse der Menschheit reiche Früchte ungeahnter Art gezeitigt.» Gegen diesen Antihumanismus wird sich ganz fraglos denn doch eine Naturbetrachtungsart durchsetzen, die in einer das empfindende Auge ausschließenden Lichtlehre allerdings einen veritablen «Nonsens» erkennen wird. Der Antihumanismus der modernen theoretischen Physik erinnert uns eindrucksvoll an den theologischen Ursprung des Denkens der Universität. In der Theologie war und ist der Antihumanismus mit einem positiven Vorzeichen versehen und versteht sich als Verherrlichung Gottes als des Objektes der Theologie. Vollkommen identisch mit der Methode des Physikers betrachtet auch der Theologe das innere Wesen des Menschen als außerhalb des theologischen Objektes stehend. Die theologisch verstandene «Offenbarung» nach dem theologischen Radikalismus etwa Karl Barths hebt den Antihumanismus nicht auf, sondern fundiert ihn gerade. Wie Max Plancks «Licht» physiktheoretisch auf das menschliche Auge und die menschlichen Erlebnisse verzichten kann, ebenso ist die Konstitution des Barth’schen Objektes der Theologie eine Sache, an der die menschliche Seele unbeteiligt und ausgeschlossen ist. Ein Thomas von Aquino hat diesem Radikalismus vorzubeugen versucht, indem er einen Seinsmonismus vertrat, in dem das Menschliche in dem Göttlichen wenigstens per analogiam zu Haus war. Barth bezeichnet diese Philosophie der analogia entis kurz und bündig als der «Antichrist». Die Philosophie der katholischen Kirche scheint sich ihrerseits keine Klarheit darüber geben zu wollen, daß sie selbst in einem wenig gehaltvollen Sinne modernistisch ist, sofern sie die Methoden der modernen Physik nicht prinzipiell verwirft.
Einen stärksten Eindruck von der Methodengleichheit des Physikers und des Theologen erhält man, wenn man sie an bestimmten Problemen beobachtet, die gleichzeitig in der modernen Physik und in der modernsten Theologie auftreten, - bei Einstein und bei Karl Barth. Die Gesamtproblematik der Spekulationen Einsteins läßt sich durch die Formel andeuten: Erkenntnis der Gleichzeitigkeit zweier Weltereignisse. Dabei muß man sich nur klar sein, daß die Zeitspekulationen der Relativitätstheorie es (11) nie mit der erlebbaren humanen Zeit zu tun haben, sondern stets nur mit einer Analogie, deren Vergleichsbasis eine Weltphoronomie und Weltgeometrie ist. Der Theologe Barth stieß im strengstens gleichen Sinne auf die Einsteinsche Frage der Gleichzeitigkeit zweier Weltereignisse. In seinen «Prolegomena» (diese sind problemhaltiger als die späteren voluminösen Bände der «Kirchlichen Dogmatik") stellt Barth die Frage, inwiefern Gleichzeitigkeit möglich sei zwischen der «Offenbarung» in Palästina und deren Verkündigung in der sonntäglichen Predigt des reformierten Pfarrers. Diese höchst echte Fragestellung wirkte ungemein produktiv. Es wird gefragt nach der «Gleichzeitigkeit» des Priesters mit der Tat des Christus, d.h. nach der Gegenwart des göttlichen Schaffensprinzips, Aber der Ahumanismus kann den Ernst dieser Frage nicht zulassen. Der Ahumanismus der modernen Naturtheorie ist durch seine Methodengleichheit mit der Theologie weit davon entfernt, im Christusprinzip das wissenschaftlich relevante Bauprinzip des Menschen und seiner «Welt» zu wissen. Die Mystiker haben schüchtern an die Frage der «Gleichzeitigkeit» und «Gegenwart» gerührt, so, wenn Angelus Silesius kündet . «Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bist dennoch verloren.» Die moderne Wissenschaft ging nicht den Weg, das Moralische und das Natürliche in Einem humanen Bauprinzip zu suchen, die moralische und die physikalisch gemeinte «Welt» haben keine Berührungspunkte. Wo man im besten Falle die geistigen «Werte» gegen den Naturalismus und die abstrakte Spekulation hochhalten wollte (in der süddeutschen Schule der Windelband und Rickert), da war gerade die Erweiterung der Kluft zwischen Natur und Geisteswissenschaften die Folge. Barths schließliche Beantwortung der Frage der «Gleichzeitigkeit» in seinen späteren Arbeiten erschöpft sich in einem agnostisch intellektuellen Gedankenspiel, das ebenso «geistreich» ist wie die sensationellen Spekulationen Einsteins. Wenn Barth schlußendlich die Schwierigkeiten des Zeitproblems (das durch Heidegger auf eine achristliche Ebene verschoben wird) mit der theologisch imposanten Auskunft bewältigt, der offenbarende Gott habe seine eigene Zeit, die mit unserer menschlichen Zeit inkommensurabel sei, so hat er leider seine verheißungsvolle Ursprungsfrage zutode getreten. (12) Im Zeitproblem kulminieren alle die Inkonvenienzen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, die «Welt» und das letzte sie tragende Reale eigentlich nicht als «Objekt», sondern als Subjekt, als «Ich» zu fassen. Vor dieser Notwendigkeit scheiden sich die Geister. Ist das letzte Forschungsobjekt des Physikers und des Theologen als «Ich» anzusprechen, dann ist es allerdings nicht mehr möglich, das Innenwesen des Menschen als radikal aus dem höchsten Objekt ausgeschlossen zu denken. Aus der geistigen Situation der «Gegenwart» im anspruchsvollsten Sinne erhebt sich offenbar fordernd die Frage nach einem subjektiv erlebbaren objektiven (Welt)"Ich», das selbst die Zeit ist , wie es als pures Wesen zugleich NichtZeit ist. Ich denke hierbei nicht an die Leichtbeschwingtheiten Bergsons; dagegen liegt möglicherweise ein Hinweis auf das gemeinte Problem in dem Umstande, daß wir unserer Kultur eine «christliche Zeitrechnung» zugrunde liegend haben, d.h. daß wir die «WeltZeit» an einem menschlichgöttlichen empirischen «Ich» orientieren. Die moderne Entwicklungslehre mit ihren Fragen der Menschwerdung scheint auf dem Wege, sich in der jüngsten Strömung der Biologie einem geistigen Prinzip aufzuschließen, das aus den niederen Naturreichen schließlich den Menschen aufbaut; aber dieser antidarwinistischen Strömung verwehrt an der Universität der theologische Antihumanismus, das reale Schöpfungsprinzip als das Christusprinzip zu erfragen. Das edle Bündnis zwischen «Glaube und Forschung» ist als Hoffnungsbund fragwürdig, es gedeiht im Zeichen der geschätzten bürgerlichen Sekurität.
In diesen fragmentarischen Überlegungen wurde einer «Judenfrage» auf unbetretenen Pfaden ein neuer Aspekt abzugewinnen versucht. Man möge erlauben, daß hier unter der Judenfrage die Frage verstanden wird, ob der menschliche Intellekt, der menschliche Gedanke, die menschliche Ideenwelt erlösungsfähig sei. Von dieser letztern Frage meint Rudolf Steiner, daß sie als Vermächtnis des Thomas von Aquino an uns gelange. In Vorträgen zu Pfingsten 1920 über «Die Philosophie des Thomas von Aquino» sagte der Vortragende: «Soll die Ideenwelt der Erlösung nicht, teilhaftig werden? Man konnte im dreizehnten Jahrhundert noch nicht das christliche Erlösungsprinzip in der Ideenwelt finden, deshalb stellte man sie entgegen der Offenbarungswelt. Das muß der Fortschritt der Menschheit (13) in die Zukunft hinein werden, daß nicht nur für die äußere Welt das Erlösungsprinzip gefunden werde, sondern das Erlösungsprinzip gefunden werde für die menschliche Vernunft.»
29. 4. 1946
* Vergl. hierzu «Natur und Geist, Grundzüge einer christlichen Philosophie» von Dr. Hans Büchenbacher, Verlag Paul Haupt, Bern, 1946
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