Zur Aufwerfung dieser Frage gaben mir Veranlassung einige in letzter Zeit von anthroposophischen Rednern gehaltene Vorträge, deren Titelformulierung und Ausführung eine physiologische Grundlage der menschlichen Freiheit ohne weiteres zu bejahen scheinen. Außer einem Vortrage des Herrn Dr. Poppelbaum im Pythagoras-Zweig, Hamburg, sind es besonders die Ausführungen des Herrn Dr. E. Kolisko, welche dieser anläßlich einer pädagogischen Tagung in Hamburg (1928) gab. Schon die Formulierung seines Vortrages: «Die physiologischen Grundlagen der menschlichen Freiheit und ihre Bedeutung für Erziehung und Heilkunst» setzt als Tatsache physiologische Grundlagen der menschlichen Freiheit voraus. Eine solche Tatsache aber muß aus der Erkenntnis der Wirklichkeit der menschlichen Freiheit als nicht existierend, noch möglich, bezeichnet werden. Man kann die begriffliche Formulierung «physiologische Grundlagen der menschlichen Freiheit» nur dann gelten lassen, wenn man darunter die physiologische Gegebenheit meint, in welche der menschliche Freiheitsakt hineinwirkt, aber keineswegs dann, wenn man meint, daß der Freiheitsprozeß durch die Kräfte des Organischen aus dieser Gegebenheit herausgetrieben würde. Das Letztere aber versuchte Herr Dr. Kolisko in seinem Vortrage darzustellen. Er sah in gewissen physiologischen Prozessen Vorstufen der Freiheit. Wir haben es aber in der Freiheit mit einem rein geistigen Vorgang zu tun, der nur durch eine Intuition wirklich und in derselben erlebbar wird, also jenseits der Sphäre aller physiologischen Prozesse entsteht und verläuft. Dr. Steiner sagt:
«Diese Freiheit muß dem menschlichen Wollen zugesprochen werden, insofern dieses rein ideelle Intuitionen verwirklicht. Denn diese sind nicht Ergebnisse einer von außen auf sie wirkenden Notwendigkeit, sondern ein auf sich selbst Stehendes. Findet ein Mensch, daß eine Handlung das Abbild einer solchen ideellen Intuition ist, so empfindet er sie als eine freie. In diesem Kennzeichen einer Handlung liegt die Freiheit.» [1] ...
[1] ‹Die Philosophie der Freiheit› (1918) Seite 208