...Wir können sehen: das, was gestaltende Kraft wird im Unterricht vom siebenten Lebensjahre ab, kann deswegen gestaltend wirken, kann sich deswegen bestimmte Aufgaben stellen, weil im Kinde durch eine bereits vollzogene organische Entwickelung gewisse Kräfte frei geworden sind. Mit diesen Kräften kann man arbeiten. Man kann so arbeiten, daß sie das bewirken, was man die innere Ausbildung des Menschen nennt, daß sie sich ausprägen im Verlaufe der weiteren organischen Fortentwickelung. Das ist eine Grundanschauung, wie sie uns von der Geisteswissenschaft, deren Methode wir hineinzuarbeiten bemüht sind, geschenkt worden ist...
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Wenn wir eine derartige Anschauung an die Schule heranbringen, dann wird die Schaffensfreude, die uns belebt, Früchte tragen, daß wir sehen, das heutige Leben wird mit der Schule zu rechnen haben. Schöpferkräfte können nur aus solchen Schulen kommen, wo Schöpferkräfte nicht zurückgestaut werden, sondern wo sie entwickelt werden, so daß der erste Tag in der Schule nicht eine Krisis bedeutet, sondern das Kind so hineinführt, daß es aufgeschlossen wird für das Leben später; so daß es die Schule verläßt, nicht als Gewaltmensch, nicht als bloß mit Kopfwissen beladener Mensch, sondern als Mensch, der eine neue Bildung zu vertreten vermag, die wahre Menschenbildung der neuen Zeit. In der wahren Erkenntnis des Menschenwesens liegt das Unterpfand für die Entwickelung unseres Volkes in der Zukunft.
Auch diese Aufgabe ist groß, aber es ist ein Zeichen unserer Zeit, daß sie herb ist. Man will vor dem Antlitz unserer Zeit nicht so klaren Blickes stehen, daß man die verbitterten Züge sehen will. Man will Schleier über Schleier vor dieses Antlitz ziehen und will sich seinen Anblick deswegen fernhalten, weil man die Sprache fürchtet, die aus dem Antlitz redet. Herb und groß sind die Aufgaben, die wir übernommen haben. Aber wir glauben, daß es Menschen geben kann, die die Aufgaben doppelt zu lieben vermögen, weil sie herb und groß sind. Wir vereinigen uns mit Ihnen in der Hoffnung, daß Sie sie lieben lernen werden, weil es eine herbe Aufgabe ist. Aus der Herbheit wird die Frische entspringen können.
Herb und scharf ist das, was wir zu vertreten haben; aber diese Herbheit wird uns die Kraft geben, hier von der Freien Waldorfschule aus der niedergehenden Zeit ein Flammenzeichen auf die Stirne zu schreiben. Sie möge, während sie dahinlebt im Phrasentum, die Kraft finden, einen kräftigen Tod zu sterben, daß darauf fallen möge die Sonne des kommenden Tages.