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Guido Giacomo Preparata: Die Einschwörung Hitlers: Wie Britannien und Amerika das Dritte Reich verursacht haben
Quelle Conjuring Hitler: How Britain and America Made the Third Reich Von Guido Giacomo Preparata
Taschenbuch Verlag: Pluto Press (5. August 005)
Sprache: Englisch ISBN-10: 074532181X ISBN-13: 978-0745321813
4. Das Blut der Romanows und die Einkreisung Deutschlands
Deutschland und Großbritannien bereiteten sich auf den Krieg vor. Deutschland erwartete ein begrenztes Geplänkel, England die allumfassende Belagerung. 1898 begann das Deutsche Reich ernsthaft, die kaiserliche Flotte auszubauen. Um 1906 besaß es die zweitgrößte Flotte der Welt. Um 1900-02 verlagerte England seinen strategischen Brennpunkt weg von den überholten, antirussischen Intrigen in Zentralasien und den kleinlichen Eifersüchteleien mit Frankreich in Afrika, und konzentrierte sich auf die fortschreitende Einkreisung Deutschlands mit der Perspektive, zum geeigneten Zeitpunkt einen umfassenden Angriff gegen es als der nächst gelegene nordwestlichen Landbrücke zu führen.
1904 kamen sich Großbritannien und Frankreich diplomatisch näher, und zwar durch ein Geschäft oder die Entente Cordiale, als die es bekannt wurde: Marokko ging an die Trikolore und Ägypten kam unter den Union Jack.[23]
In März notierte sich Helmuth von Moltke, der Oberbefehlshaber der deutschen Armee, dem später die Schuld an der Niederlage gegeben wurde, weil er die Armee an der Marne zum Stehen gebracht hatte (im September 1914, das wird weiter unten noch untersucht) aus Furcht vor dem kommenden Unwetter: «Keiner hat eine Ahnung, welche Gewitter sich über uns zusammenbrauen; statt sich in feierlichem Ernst auf die ernsten Zeiten vorzubereiten, zerreißt sich die Nation selbst in Stücke.»[24]
Im Juli 1904 wurde den Romanows, Nikolaus und Alexandra, nach vier Mädchen schließlich ein Junge und Erbe, der Zarewitsch Alexej, geboren. Die Doktoren bemerkten verdächtige Blutungen am Nabel des Kleinkinds, doch wurde die Angelegenheit sofort übergangen. Ein Jahr später, auf den Monat genau, erlitt Alexei den ersten Anfall dessen, was sich zum Schrecken seines Vaters und seiner Mutter als Hämophilie herausstellte. «Da sein Blut nicht zu gerinnen vermochte, konnte die leichteste Verletzung sein Leben gefährden.»[25] Die herkömmliche Medizin war dieser Krankheit gegenüber machtlos.
Sechs Monate vor der ersten Blutung des Zarewitsch, im Januar 1905, erlebte Russland seinen ersten und letzten spontanen Volksaufstand: Er wurde nicht von selbst ernannten, ‹unverbesserlichen Atheisten› wie dem Kommunisten Trotzki angeführt, der sich erst kurz danach zu dieser aufschäumenden Flut gesellte[26], sondern von einem Priester, dem Popen Gapon. Aus Protest gegen Lebensmittelkürzungen, zu geringe Löhne und Tyrannei marschierten Tausende hinter dem Popen her auf den Winterpalast zu. Kosaken und Polizeibeamte eröffneten auf sie das Feuer und zerstreuten sie. Der Tag ging als ‹Blutsonntag› in die Geschichte ein. Dem folgten Streiks und wachsende Spannungen. Der Zar machte Zugeständnisse. Es kam zum St. Petersburger Sowjet (dem russischen Wort für Rat) als spontane, institutionelle Verkörperung der örtlichen städtischen Interessen. Dazu willigte der Zar in die Bildung einer beratenden Körperschaft, der Duma, ein.
Im Laufe des Jahres beteiligten sich während der unklaren Zwischenzeit illusionärer Reformen viele der künftigen führenden Revolutionäre mit allem Eifer an dem neu gegründeten Sowjet. Doch ihre Agitation wurde niedergeschlagen. Der Zar hatte tatsächlich nur geblufft, und viele Störer des kaiserlichen Friedens wurden verhaftet und nach Sibirien verbannt, von wo sie einer nach dem anderen flohen. Russland war im - 12 - inneren erschüttert. Nur wenige Monate nach dem Volksaufstand wurde Russland in einer weit entfernten kolonialen Streitigkeit von Japan in Korea und in der Mandschurei geschlagen. Die Niederlage war beispiellos.
Inmitten dieses russischen Debakels versuchte Wilhelm schließlich doch noch eine eurasische Annäherung. Im Juli 1905 lockte er den Zaren nach Björkö am Golf von Finnland, und erreichte die Zustimmung des Zaren zu einem Vertrag, in dem sich die zwei Mächte erstens zur gegenseitigen Unterstützung im Kriegsfall verpflichteten und sich Russland zweitens verpflichtete, Frankreich über das Abkommen mit der Perspektive zu informieren, dass es der Allianz beitritt.[27]
Da die Deutschen bis zuletzt nicht begriffen, dass Großbritannien die gewaltige Belagerung gegen sie in Szene setzte - die letzte politische Fehleinschätzung, die den Untergang Deutschlands heraufbeschwor - konnte die späte Allianz mit Russland nicht zum Abschluss gelangen. Wahrscheinlich war es dafür auch 1905 schon zu spät. Als es Deutschland tatsächlich möglich gewesen wäre, Russland an sich zu binden, in dem es die russischen Gewährleistungen akzeptiert hätte (das heißt, seine Darlehen an Russland erweitert hätte) - die Gelegenheit dazu hatte sich 1887 geboten - hat es das verärgert über russische wirtschaftliche Konkurrenz abgelehnt. Die Finanzinteressen Frankreichs und zu einem geringeren Umfang Großbritanniens drängten sich sofort hinzu und stellten die Gelder zur Verfügung. Dadurch banden sie entschlossen das Schicksal des russischen Reiches an ihre imperiale Politik.
Bismarck hatte nur mit Russland gespielt; er hatte es nicht an Deutschland gefesselt, als er es hätte tun sollen. Das eurasische Bündnis hätte nur durch eine deutsche Vermittlung zwischen den österreichischen und russischen Bestrebungen in Mitteleuropa mit oder ohne Frankreich zu Stande kommen können. Dies hätte im Mittelpunkt der geopolitischen Mission der Mittelmächte als Gegengewicht gegen die bevorstehende Belagerung durch die Seemächte stehen müssen. Im Hinblick darauf haben alle Reichskanzler vor dem Krieg, von Bismarck bis Bethmann-Hollweg, kläglich versagt. Dort lagen die Keime für Europas damaligem und heutigem Niedergang.
Der Vertrag von Björkö wurde nicht mehr ratifiziert. Nach seiner Heimkehr wurde Nikolaus von seinen Ministern ernsthaft zur Rede gestellt. Sie erinnerten den Zaren an seine Verpflichtungen gegenüber den Franzosen. Diese lehnten, als sie über Nikolaus besorgniserregende Seitensprünge informiert wurden, kategorisch jede Teilnahme an einer Entente mit dem Reich ab. Es schien so, als hätte Wilhelm vergessen, dass die Franzosen ‹hoffnungslos› waren. Auch Nikolaus zog sich aus dem Abkommen zurück und der Kaiser protestierte heftig, aber vergebens, und im September war alles vorüber. Anglofranzösisches Geld und die deutsche Begriffsstutzigkeit hatten Russland von einer Verständigung mit dem Reich abgebracht. Ebenfalls behinderte die althergebrachte und intensive militärische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Russland entschieden jeden weiteren verspäteten Wunsch Deutschlands, das nicht mehr Reparierbare zu reparieren. Die Deutschen hatten ihre Chance lange vor Björkö verpasst.[28]
Im Oktober 1905 erwähnte der Zar in seinem Tagebuch die erste Begegnung mit dem ‹Gottesmann›. Rasputin, der nach Sankt Petersburg gekommen war. Die Umstände, wie er in die Kreise um den Kaiser eingeführt wurde, sind noch immer im Dunkeln. Doch muss Rasputin zwischen diesem ersten Treffen und 1907 während eines der Bluteranfälle des Zarewitschs an den Hof gerufen worden sein. Er hat die Blutung auf wundersame Weise zum Stillstand gebracht.[29] Der sibirische Wunderheiler konnte allein durch Berührungen und Gebet den Romanow-Erben am Leben erhalten. Alexandra dankte dem Himmeln für die viel versprechende Erscheinung dieses Wandermönchs, nahm ihn als geistlichen Führer der Kaiserfamilie auf, und überließ sich zunehmend - 13 - seinem Einfluss. Die Zarin wurde Rasputin so hörig, wie der Zar ihr. Damit fiel das Schicksal des russischen Reiches in die Hände eines bäuerlichen Magiers.
Nach Frankreich stand nun Russland auf Großbritanniens Tagesordnung: Aus der Entente Cordiale (zu zweit) mit Frankreich wurde die Tripelallianz zwischen Großbritannien, Frankreich und Russland. 1907 handelte der Kopf hinter der Verstrickung Deutschlands in den Ersten Weltkrieg, Lord Grey, Großbritanniens Außenminister, mit Russland die Teilung des Iran anstelle von Afghanistan aus und die Übergabe von Tibet. ‹Das Große Spiel› [im Osten] war damit anscheinend zu Ende gebracht worden[30] und somit stand der Zweifrontenkrieg gegen Deutschland bevor.
Inzwischen war der Flottenwettkampf weitergegangen. Zwischen 1907 und 1909 hatte Großbritannien Deutschland zweimal eingeladen, einem Abkommen über den allgemeinen Kriegsschiffbau unter der Voraussetzung zuzustimmen, dass Großbritannien in dieser Hinsicht eine zahlenmäßige Überlegenheit zugesichert wurde. Zweimal lehnte Deutschland ab. Frankreich und Russland hätte ebenso gut das Reich auffordern können, seine eigenen Landstreitkräfte zu begrenzen, witzelte Wilhelm[31] und er fügte hinzu:
«Wir leben einfach in Mitteleuropa und es ist ganz natürlich, dass andere, kleinere Nationen sich uns zuneigen. Dagegen protestieren die Briten, weil es ihre Theorie vom Kräftegleichgewicht völlig zunichte macht, d. h. ihr Verlangen zu ihrem eigenen Vergnügen, eine europäische Macht gegen die andere auszuspielen, und weil es auf die Vereinigung eines Kontinents hinausläuft.»[32]
Die Prämisse war aus deutscher Sicht richtig, aber die Schlussfolgerung war falsch: Wieder einmal wurde Großbritannien verhängnisvoll unterschätzt. Deutschland machte 1909 zwei Gegenvorschläge, den ersten im April. Die Diplomaten der Wilhelmstrasse schlugen ein beiderseitiges Marineabkommen vor, vorausgesetzt Großbritannien bietet seine ‹wohlwollende Neutralität› für den Fall an, dass Deutschland sich auf dem Kontinent im Krieg befindet. Mit anderen Worten verlangte das Reich, England solle die Rolle eines passiven Zuschauers einnehmen. Zum zweiten Mal boten die Deutschen im Dezember die Beschränkung der Tonnage ihrer Kriegsflotte gegen ein britisches Neutralitätsabkommen und damit ein festes Flottenverhältnis an. Zweimal lehnte England ab. Darüber hinaus beschloss England die Produktion auszubauen, um für jedes deutsche Kriegsschiff zwei Dreadnoughts, Großbritanniens neue Schlachtschiffe, zu herzustellen.
Ein letztes Angebot an Russland erging 1911 während der Verhandlungen in Potsdam, die offiziell angesetzt worden waren, um sich mit dem Vordringen deutschen Kapitals in den Nahen Osten zu befassen. Sie dauerten mehrere Monate: Deutschland erklärte sich bereit, Österreichs Intrigen in Osteuropa Zügel anzulegen, wenn Russland einwilligte, der von Großbritannien betriebenen Politik seine Unterstützung zu entziehen, die sich möglicherweise feindlich gegen Deutschland richten könnte.
Der Kaiser bekam die Zusage für eine Eisenbahnstrecke in Mesopotamien aber keine Neutralitätsgarantie seitens Russlands. Die anderen zerbrochenen Teile von Deutschlands weitsichtigem und gewichtigem Plan wurden an Großbritannien und Frankreich wegverhandelt.
Damit war der Spielraum für weitere diplomatische Manöver erschöpft. Von diesem Zeitpunkt an befand sich England auf Kriegspfad. Je mehr der Kaiser versuchte, die Tripel-Entente zu schwächen, desto mehr verstärkte Großbritannien sie: 1912 unterschrieb England ein geheimes Flottenabkommen mit Frankreich, und Frankreich tat das gleiche mit Russland. Insgeheim, ohne dass selbst das Parlament und die meisten Minister es wussten, wechselte Außenminister Lord Grey mit Cambon, dem französischen Botschafter - 14 - in London, eine Reihe von Briefen, in denen sich Großbritannien auf der Grundlage geheimer militärischer Abkommen, die die Generalstäbe beider Länder ausgearbeitet hatten, im Kriegsfall verpflichtete, auf der Seite Frankreichs einzugreifen.[33]
In diesen Tagen war der deutsche Generalstab mit Übungen nach dem Schlieffenplan und an seiner weiteren Feinabstimmung beschäftig. Dieser Plan war 1905 aufgestellt und nach 1906 von Schlieffens Nachfolger, dem jüngeren Helmuth von Moltke, dem Neffen des siegreichen Generals bei Sedan 1871 abgeändert worden.
Der Plan sah vor, den Krieg mit einem einzelnen durchschlagenden Streich zu entscheiden. Schlieffen ging davon aus, dass Deutschland auf zwei Fronten angegriffen werden würde, von Frankreich im Westen und Russland im Osten. Ersteres musste vernichtend geschlagen werden, ehe letzteres mobilisieren konnte. Jeder länger dauernde Kampf, in den das kampfbereite aber an Ressourcen arme Reich voraussichtlich hineingezogen werden würde, sollte vermieden werden und statt dessen durch einen hinhaltenden Widerstand im Osten, und ein vor Ort bereitstehendes, gegen Frankreich gerichtetes Truppenkontingent ersetzt werden. Es sollte den Kern des Planes ermöglichen: ‹Eine große Flügelbewegung durch Holland und Belgien, die auf der Seite westlich von Paris vorstoßen und die französischen Armeen von hinten angreifen sollte.›[34]
Den Briten war der Plan bis ins letzte Detail bekannt: ‹Ohne dass es jemand in Berlin wusste, war er [der Schlieffen-Plan] 1906 dank eines Verräters, der ihn für sechzigtausend Franken verkauft hatte, in den Besitz der französischen Armee gelangt.›[35] Tatsächlich wurde Belgien zum Eckstein des diplomatischen Vorwands Großbritanniens, sich an den Feindseligkeiten zu beteiligen.
Großbritannien verließ sich darauf, dass Deutschland unvermeidlich gegen die belgische Neutralität verstoßen musste, sobald Moltke den Blitzkrieg Schlieffens beginnen würde. Schon 1906 beteiligte sich der britische Generalstab in voller logistischer und geheimer Zusammenarbeit mit seiner belgischen Entsprechung an simulierten Manövern in ganz Belgien. Sie betrafen den Einsatz eines britischen Expeditionsheeres auf dem Kontinent. Dieses wurde tatsächlich im August 1914 unter dem Befehl von Sir John French in Bereitstellung gebracht, um die französischen Armeen gegen Deutschlands Offensive auf Paris zu unterstützen. Die Öffentlichkeit wurde über diese Pläne nie unterrichtet.[36]
Von da an (1911-14) riss die Serie von Krisen kaum mehr ab: Zwischenfälle in Nordafrika, Intrigen und kriegerische Reibereien auf dem Balkan, Warnungen, Herausforderungen und Gegenwarnungen von allen Seiten.[37]
Vom Frühjahr 1914 an war die Entente zum Überfall aus dem Hinterhalt auf die Deutschen bereit. Am 29. Mai 1914 berichtete Edward House, Präsident Wilsons Hauptberater und Amerikas Graue Eminenz hinter dem anglo-amerikanischen imperialen Bündnis, aus Europa: ‹Wenn immer England zustimmt, werden Frankreich und Russland in Deutschland und Österreich eindringen›.[38]
[24] T. H. Meyer (ed.), Light for the New Millennium. Rudolf Steiner's Association with Helmuth von Moltke. Letters, Documents and After-death Communications. (London: Rudolf Steiner Press, 1997), S. 3.
[25] Carroll Quigley, Tragedy and Hope. A History of the World in Our Time (New York: TheMacmillan Company, 1966), S. 100.
[26] Dmitri Volkogonov, Trotsky, the Eternal Revolutionary (New York: The Free Press 1996), S. 42.
[28] A. S. Erusalimskij, Da Bismarck a Hitler, l'imperialismo tedesco nel XX secolo (Roma: EditoriRiuniti, 1974), S. 185.
[29] Greg King, The Man Who Killed Rasputin. Prince Felix Yussupov and Murder That Helped Bring Down the Russian Empire (New York: Citadel Press Book, 1995), S. 27.